Natürlich war die Organisation perfekt. Maureen und Gerry begrüßten uns in der Rezeption des Marriott Goodwood Park Hotel und händigten uns sogleich die Tourunterlagen - das "Gebetbuch" - aus.

Ein Ordner wie vor zwölf Jahren: Für jeden Tag die Fahrtroute mit jedem Abzweig eingezeichnet, mit Gesamtkilometerangaben und der Entfernung seit dem letzten Abzweig, mit Angabe jedes Wegweisers an jedem Abzweig, sogar mit zusätzlichen Hinweisen auf Aussichtspunkte, Tankstellen oder Besonderheiten der Strecke. Dazu ein Deckblatt für jeden Tag mit einer Übersicht über das Tagesprogramm und am Ende jedes Tagesabschnitts Prospekte und Stadtpläne sowie Vorschläge für weitere Unternehmungen entlang der Strecke. Rufnummern für Notfälle und Informationen zu den gebuchten Hotels. Eine Englandkarte, auf der die Tagesstrecken zusätzlich eingezeichnet waren, falls sich doch einmal jemand verirren sollte. Unglaublich! Auf unsere Nachfrage verriet Gerry, daß die Vorbereitungen zwei Jahre in Anspruch genommen hätten.

Seine Präzision und Brauchbarkeit stellte das Gebetbuch gleich am ersten Tag unter Beweis. Wer sich damit verfuhr, hatte einfach nicht aufgepasst, sondern war vielleicht zu sehr von der Landschaft oder dem eigenen Auto in Anspruch genommen. Denn Aufmerksamkeit verlangte das Gebetbuch schon.

 

Aber wir waren ja gerade erst angekommen, und nur die erfahrenen England-Fahrer unter uns wußten, was sie erwartet. Wir waren also in Goodwood. Was für ein klangvoller Name unter Autobegeisterten! Wer denkt da nicht an den autoverrückten Earl of March, dessen Rennstrecke im eigenen Park und die beiden alljährlich stattfindenden hochkarätigen Veteranenveranstaltungen, das "Festival of Speed" und das "Revival Meeting"?

 Einen Vorgeschmack darauf fanden wir sogar schon im Hotel - ein kleiner Trost dafür, daß wir Haus und Rennstrecke des Earl erst am zweiten Tag besuchen und befahren sollten. Denn in der "Sports Cafe Bar" und der "Cocktail Bar" saßen wir inmitten von Kunstwerken und in illustrer Gesellschaft: Über unseren Köpfen hingen mitreißende Photographien von der Rennstrecke, von Kunstwerken aus den Häusern Jaguar, Lotus, Porsche, Aspfton Martin, Alfa Romeo, Veritas, BRM oder Talbot und den Kämpfen zwischen ihnen und bewegende Aufnahmen von siegreichen und besiegten Fahrern längst vergangener Tage.

In dieser Atmosphäre begann unser erster Abend, in bester Laune, von Maureen und Gerry auf das herzlichste willkommen geheißen und voller Erwartungen.

Nächster Morgen, 08.45 h, Abfahrt vom Hotel: Natürlich jedes Fahrzeug für sich allein mit dem Gebetbuch, aber eben doch pünktlich, damit die Programmpunkte an der Strecke gemeinsam absolviert werden konnten. Morgensonne begleitete uns auf der ersten Etappe durch eine Parklandschaft. Die Besitzungen des Earl of March erschienen recht weitläufig, allerdings fuhren wir langsam über kleinste Nebenstraßen: Kurvig, eng, vorbei an hohen Mauern mit alten, schweren Toren, vorbei an Weiden, Wirtschaftsgebäuden und blühenden Bäumen, durch kleine Dörfer und Weiler unserem ersten Ziel entgegen - und immer links!
Den ersten Halt des Tages, das "Amberley Museum", erreichten wir nach schon etwa 25 km. Mitglieder von Tatra UK erwarteten uns dort, und es gab ausreichend Gelegenheit für einen Rundgang über das Gelände des Museums. Hier manifestierte sich ein weiteres Mal englisches Traditionsbewußtsein: Mit großer Sorgfalt, Respekt vor der Vergangenheit und bewunderungswürdiger Hingabe werden dort alte Handwerke gepflegt, Fahrzeuge und Arbeitsgerät, ja ganze Betriebe liebevoll restauriert und betrieben.

 

Eine Schmiede, eine Töpferei oder eine Druckerei sind dort ebenso zu finden wie eine Buswerkstatt, ein Bootsbauer oder eine dampfbetriebene Säge, eine Schmalspurbahn genauso wie ein dieselelektrischer Bus von 1911. Ein lebendiges Freilichtmuseum!
Etwas ganz anderes erwartete uns nach dem Mittagessen im nahegelegenen Arundel. Der kleine Ort am River Arun wird überragt vom mächtigen Stammsitz der Herzöge von Norfolk. Unsere Fahrzeuge konnten wir in Sichtweite des Schlosses bewacht abstellen und Bekanntschaft mit der Geschichte einer Familie machen, die seit dem Mittelalter bis zum heutigen Tag englische Geschichte geprägt hat:

Als älteste Herzöge des Landes und Englands führende Katholikenfamilie blieben Spannungen zu König und Kirche nicht aus. Familienmitglieder ließen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihr Leben, als Heinrich VIII. den Bruch mit der römisch-katholischen Kirche vollzog und die Anglikanische Staatskirche etablierte. Noch im selben Jahrhundert starb der 13. Earl of Arundel in der Haft im Londoner Tower, ohne daß seine Glaubenskraft gebrochen war, wofür er 400 Jahre später heiliggesprochen wurde.

Daß sich die Zeiten - jedenfalls in diesem Teil des Vereinigten Königreichs - etwas geändert haben, ließ sich unschwer daran erkennen, daß die Privat- und Grabkapelle der Herzöge, in der nahezu alle Vorfahren versammelt sind, mit der anglikanischen Pfarrkirche von Arundel unter einem Dach und von dieser nur durch eine Glaswand getrennt ist.

Heute befindet sich Arundel Castle im Besitz einer Stiftung der Familie, was dieser ihre Unabhängigkeit bewahrt und Erbschaftssteuern spart - eine juristische Konstruktion, die bei unserem Rundgang sofort verständlich wurde: Das Innere des Schlosses beherbergt eine atemberaubende Fülle an Kostbarkeiten, vor allem Porzellan, Möbel, Gemälde, Waffen, Bücher und Teppiche, unbeeinflußt von Krieg und Zerstörung, seit Jahrhunderten unverändert erhalten. Ein alter Herr, Aufseher in einem der vielen Räume, war es, der uns in die Wirklichkeit zurückversetzte. Er zeigte auffallend starkes Interesse an unseren Namensschildern, die uns als Teilnehmer der Tatra Tour auswiesen und unsere Nationalität zeigten. Ja, Tatra, die Marke kenne er. Auf unsere Frage nach dem Woher erzählte er aus dem Krieg: Sein Vorgesetzter habe sich am liebsten in einem Fahrzeug der Marke Tatra fahren lassen. Daß es die immer noch gebe! Das Auto habe man aus den Händen des Feindes befreit - "So sagten wir damals...".

Der Abschied von Arundel fiel manchem schwer - Uli Platzeks T 57 wollte nicht weg und mußte angeschoben werden. Das war am Morgen auch schon so gewesen, und wir sahen bereits das tägliche Ritual vor uns: Uli muß angeschoben werden! Aber dazu kam es dann doch nicht, der 57er lief jeden Tag, wie sich das gehört.